Der suprapatellare Zugang ist ein modifizierter chirurgischer Ansatz für die Tibia-Marknagelung in halbgestreckter Knieposition. Die Tibia-Marknagelung über den suprapatellaren Zugang in Hallux-valgus-Position bietet viele Vorteile, aber auch Nachteile. Manche Chirurgen behandeln mit dem SPN alle Tibiafrakturen außer extraartikulären Frakturen des proximalen Tibiadrittels.
Die Indikationen für SPN sind:
1. Trümmer- oder Segmentfrakturen des Tibiaschafts. 2;
2. Frakturen der distalen Tibiametaphyse;
3. Fraktur der Hüfte oder des Knies mit vorbestehender Einschränkung der Beugung (z. B. degenerative Hüftgelenksschädigung oder -versteifung, Kniearthrose) oder Unfähigkeit, das Knie oder die Hüfte zu beugen (z. B. hintere Hüftluxation, Fraktur des ipsilateralen Femurs);
4. Tibiafraktur kombiniert mit Hautverletzung an der Infrapatellarsehne;
5. eine Tibiafraktur bei einem Patienten mit einer zu langen Tibia (das proximale Ende der Tibia ist unter Röntgendurchleuchtung oft schwer zu visualisieren, wenn die Länge der Tibia die Länge des Stativs überschreitet, durch das die Röntgendurchleuchtung hindurchgehen kann).
Der Vorteil der Tibia-Marknageltechnik in halbgestreckter Knieposition zur Behandlung von Frakturen der mittleren Tibiadiaphyse und distalen Tibiafrakturen liegt in der einfachen Reposition und der einfachen Durchleuchtung. Dieser Ansatz ermöglicht eine hervorragende Unterstützung der gesamten Tibialänge und eine einfache sagittale Reposition der Fraktur ohne Manipulation (Abbildungen 1, 2). Dadurch ist kein geschulter Assistent für die Marknageltechnik erforderlich.
Abbildung 1: Typische Position für die Marknageltechnik beim infrapatellaren Zugang: Das Knie befindet sich in gebeugter Position auf einem durchleuchtbaren Stativ. Diese Position kann jedoch eine schlechte Ausrichtung des Frakturblocks verschlimmern und erfordert zusätzliche Repositionstechniken zur Frakturreposition.
Abbildung 2: Im Gegensatz dazu erleichtert die gestreckte Knieposition auf der Schaumstofframpe die Ausrichtung des Frakturblocks und die anschließende Manipulation.
Chirurgische Techniken
Tisch / Position: Der Patient liegt in Rückenlage auf einem Durchleuchtungstisch. Eine Traktion der unteren Extremitäten kann durchgeführt werden, ist aber nicht erforderlich. Der Gefäßtisch eignet sich gut für die suprapatellare Tibia-Marknagelung, ist aber nicht erforderlich. Die meisten Frakturbetten oder Durchleuchtungstische sind jedoch nicht zu empfehlen, da sie für die suprapatellare Tibia-Marknagelung nicht geeignet sind.
Die Polsterung des ipsilateralen Oberschenkels hilft, die untere Extremität in einer nach außen rotierten Position zu halten. Eine sterile Schaumstofframpe wird dann verwendet, um die betroffene Extremität für die posterolaterale Durchleuchtung über die kontralaterale Seite zu heben. Eine gebeugte Hüft- und Knieposition erleichtert zudem die Platzierung des Stifts und des Marknagels. Der optimale Kniebeugewinkel wird noch diskutiert. Beltran et al. schlagen eine Kniebeugung von 10° und Kubiak eine Kniebeugung von 30° vor. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass Kniebeugewinkel innerhalb dieser Bereiche akzeptabel sind.
Eastman et al. stellten jedoch fest, dass sich der Einfluss des Femurtalons auf die perkutane Penetration des Instruments verringerte, wenn der Kniebeugewinkel schrittweise von 10° auf 50° erhöht wurde. Ein größerer Kniebeugewinkel erleichtert daher die Wahl der richtigen Eintrittsposition für den Marknagel und die Korrektur von Winkeldeformitäten in der Sagittalebene.
Fluoroskopie
Das C-Bogen-Gerät sollte auf der dem betroffenen Knie gegenüberliegenden Seite des Tisches platziert werden, und wenn der Chirurg auf der Seite des betroffenen Knies steht, sollte sich der Monitor am oberen Ende des C-Bogen-Geräts und in unmittelbarer Nähe befinden. So können Chirurg und Radiologe den Monitor leicht beobachten, außer wenn ein distaler Verriegelungsnagel eingesetzt werden soll. Obwohl es nicht zwingend erforderlich ist, empfehlen die Autoren, den C-Bogen auf die gleiche Seite zu bewegen und den Chirurgen auf die gegenüberliegende Seite, wenn eine mediale Verriegelungsschraube eingedreht werden soll. Alternativ sollte das C-Bogen-Gerät auf der betroffenen Seite platziert werden, während der Chirurg den Eingriff auf der kontralateralen Seite durchführt (Abbildung 3). Dies ist die von den Autoren am häufigsten verwendete Methode, da sie es vermeidet, dass der Chirurg beim Eindrehen des distalen Verriegelungsnagels von der medialen zur lateralen Seite wechseln muss.
Abbildung 3: Der Chirurg steht auf der gegenüberliegenden Seite der betroffenen Tibia, sodass die mediale Verriegelungsschraube leicht eingedreht werden kann. Das Display befindet sich gegenüber dem Chirurgen am Kopf des C-Bogens.
Alle anterior-posterioren und medial-lateralen Durchleuchtungsaufnahmen werden ohne Bewegung der betroffenen Extremität erstellt. Dadurch wird eine Verschiebung der Frakturstelle vermieden, die vor der vollständigen Fixierung der Fraktur korrigiert wurde. Darüber hinaus können mit der oben beschriebenen Methode Bilder der gesamten Tibia ohne Kippen des C-Bogens erstellt werden.
Hautinzision: Sowohl begrenzte als auch ausreichend erweiterte Inzisionen sind geeignet. Der perkutane suprapatellare Zugang für einen Marknagel basiert auf einer 3 cm langen Inzision zum Eintreiben des Nagels. Die meisten dieser chirurgischen Inzisionen sind längs, können aber auch quer verlaufen, wie von Dr. Morandi empfohlen. Die erweiterte Inzision von Dr. Tornetta und anderen ist bei Patienten mit kombinierter Patellasubluxation angezeigt, bei denen ein überwiegend medialer oder lateraler parapatellarer Zugang gewählt wird. Abbildung 4 zeigt die verschiedenen Inzisionen.
Abbildung 4: Darstellung verschiedener chirurgischer Schnittführungen. 1. Suprapatellarer transpatellarer Ligamentzugang; 2. Parapatellarer Ligamentzugang; 3. Medialer parapatellarer Ligamentzugang mit begrenztem Schnitt; 4. Medialer parapatellarer Ligamentzugang mit verlängertem Schnitt; 5. Lateraler parapatellarer Ligamentzugang. Die tiefe Freilegung des parapatellaren Ligamentzugangs kann entweder durch das Gelenk oder außerhalb der Gelenkschleimbeutel erfolgen.
Tiefe Belichtung
Der perkutane suprapatellare Zugang erfolgt primär durch Längstrennung der Quadrizepssehne, bis der Spalt den Durchgang von Instrumenten wie Marknägeln ermöglicht. Der parapatellare Ligamentzugang, der neben dem Quadrizepsmuskel verläuft, kann ebenfalls für die Tibiamarknageltechnik indiziert sein. Eine stumpfe Trokarnadel und eine Kanüle werden vorsichtig durch das patellofemorale Gelenk geführt. Dabei wird der anterior-superiore Eintrittspunkt des Tibiamarknagels mittels des Femurtrokars geführt. Sobald der Trokar korrekt positioniert ist, muss er fixiert werden, um Schäden am Gelenkknorpel des Knies zu vermeiden.
Ein großer transligamentärer Zugang kann in Verbindung mit einer parapatellaren Hyperextensions-Hautinzision entweder medial oder lateral erfolgen. Obwohl manche Chirurgen die Bursa intraoperativ nicht intakt erhalten, sind Kubiak et al. der Ansicht, dass die Bursa intakt bleiben und extraartikuläre Strukturen ausreichend freigelegt werden sollten. Theoretisch bietet dies einen hervorragenden Schutz des Kniegelenks und beugt Schäden wie Knieinfektionen vor.
Der oben beschriebene Ansatz beinhaltet auch eine Hemiluxation der Patella, die den Kontaktdruck auf die Gelenkflächen etwas reduziert. Wenn eine Beurteilung des Patellofemoralgelenks aufgrund eines kleinen Gelenkspalts und einer deutlich eingeschränkten Kniestreckvorrichtung schwierig ist, empfehlen die Autoren eine Semiluxation der Patella durch Bändertrennung. Die mediane Querschnittsinzision hingegen vermeidet Schäden an den Stützbändern, erschwert aber die erfolgreiche Rekonstruktion einer Knieverletzung.
Der Eintrittspunkt der SPN-Nadel entspricht dem des infrapatellaren Zugangs. Die anteriore und laterale Durchleuchtung während der Nadeleinführung stellt den korrekten Einstichpunkt sicher. Der Chirurg muss darauf achten, dass die Führungsnadel nicht zu weit nach hinten in die proximale Tibia eindringt. Ist sie zu tief nach hinten eingedrungen, sollte sie mithilfe eines Blockiernagels unter posteriorer Koronardurchleuchtung repositioniert werden. Eastman et al. sind zudem der Ansicht, dass das Einbohren des Eintrittsstifts in stark gebeugter Knieposition die anschließende Frakturreposition in der überstreckten Position erleichtert.
Reduktionswerkzeuge
Zu den praktischen Instrumenten für die Reposition gehören Punktrepositionszangen unterschiedlicher Größe, Femurheber, externe Fixateure und interne Fixateure zur Fixierung kleiner Frakturfragmente mit einer einzelnen Kortikalisplatte. Auch Blockiernägel können für den oben genannten Repositionsprozess verwendet werden. Repositionshämmer werden zur Korrektur von sagittalen Angulationen und transversalen Dislokationen eingesetzt.
Implantate
Viele Hersteller orthopädischer Fixateure haben instrumentierte Systeme zur standardmäßigen Platzierung von Tibiamarknägeln entwickelt. Diese umfassen einen verlängerten Positionierungsarm, ein geführtes Stiftlängenmessgerät und einen Markraumexpander. Es ist sehr wichtig, dass Trokar und stumpfe Trokarstifte den Zugang zum Marknagel gut schützen. Der Chirurg muss die Position der Kanüle erneut bestätigen, um Verletzungen des Patellofemoralgelenks oder periartikulärer Strukturen durch zu große Nähe zum Eintreibgerät zu vermeiden.
Verriegelungsschrauben
Der Chirurg muss sicherstellen, dass genügend Verriegelungsschrauben eingesetzt werden, um eine zufriedenstellende Reposition zu gewährleisten. Die Fixierung kleiner Frakturfragmente (proximal oder distal) erfolgt mit drei oder mehr Verriegelungsschrauben zwischen benachbarten Frakturfragmenten oder allein mit winkelstabilen Schrauben. Der suprapatellare Zugang zur Tibia-Marknageltechnik ähnelt hinsichtlich der Schraubeneindrehtechnik dem infrapatellaren Zugang. Verriegelungsschrauben lassen sich unter Röntgendurchleuchtung präziser eindrehen.
Wundverschluss
Durch Absaugen mit einer geeigneten Außenhülle während der Dilatation werden freie Knochenfragmente entfernt. Alle Wunden müssen gründlich gespült werden, insbesondere die Operationsstelle am Knie. Anschließend werden die Quadrizepssehne bzw. das Band und die Naht an der Rupturstelle verschlossen, gefolgt vom Verschluss der Dermis und der Haut.
Entfernung des Marknagels
Ob ein über einen suprapatellaren Zugang eingebrachter Tibia-Marknagel durch einen anderen chirurgischen Zugang entfernt werden kann, ist weiterhin umstritten. Der gängigste Zugang ist der transartikuläre suprapatellare Zugang zur Marknagelentfernung. Bei dieser Technik wird der Nagel freigelegt, indem mit einem 5,5-mm-Hohlbohrer durch den suprapatellaren Marknagelkanal gebohrt wird. Anschließend wird das Nagelentfernungswerkzeug durch den Kanal geführt, was jedoch schwierig sein kann. Der parapatellare und der infrapatellare Zugang sind alternative Methoden zur Entfernung von Marknägeln.
Risiken: Die chirurgischen Risiken des suprapatellaren Zugangs zur Tibia-Marknageltechnik sind Verletzungen der Patella und des Talus femoralis, Verletzungen anderer intraartikulärer Strukturen, Gelenkinfektionen und intraartikulärer Debris. Es fehlen jedoch entsprechende klinische Fallberichte. Patienten mit Chondromalazie sind anfälliger für medizinisch bedingte Knorpelverletzungen. Medizinische Schäden an den Gelenkoberflächenstrukturen der Patella und des Femurs stellen für Chirurgen, die diesen chirurgischen Zugang, insbesondere den transartikulären Zugang, nutzen, ein großes Problem dar.
Bislang liegen keine statistischen klinischen Belege für die Vor- und Nachteile der Semi-Extension-Tibiamarknageltechnik vor.
Veröffentlichungszeit: 23. Oktober 2023